Das deutsche Abstammungsrecht ist aus der Zeit gefallen und muss dringend reformiert werden. Von der Abstammung, der Blutlinie, hängt viel ab: Das Erb- und Pflichtteilsrecht, eine gegenseitige Unterhaltspflicht und das Recht und die Pflicht auf elterliche Verantwortung, um ein bei paar Beispiele zu nennen. Wer Mutter ist, regelt § 1591 BGB: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“ Klingt erstmal einfach. Auch die Vaterschaft ist genau in § 1592 BGB geregelt: „Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist.“ Im Jahr 1900, als das BGB in Kraft getreten ist, war das noch weitgehend so. Es gibt noch zwei weitere Möglichkeiten, rechtlicher Vater zu werden, die das Gesetz vorsieht, die Anerkennung der Vaterschaft (durch den Vater) und die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft. Und bereits jetzt kennt das Familienrecht eine Form von Elternschaft, die nicht an der Abstammung hängt. Als „soziale Eltern“ bezeichnet man die Personen, die ein Kind tatsächlich aufziehen und Verantwortung übernehmen. Eine solche soziale Elternschaft ist heute schon an bestimmte Rechtsfolgen geknüpft. So schließt eine sozial-familiäre Beziehung zwischen einem Kind und den rechtlichen Vater die gerichtliche Anfechtung der Vaterschaft durch den biologischen Vater aus.
Mit neuen Familienmodellen in unserer Gesellschaft, insbesondere der Ehe für alle, kommt dieses alte Recht nicht mehr klar. Das zeigen zwei Fälle, die das Bundesverfassungsgericht nun zu entscheiden hat. Anlass sind zwei sogenannte Vorlagebeschlüsse (hier des OLG Celle und des KG vom 24.3.2021), mit denen sich Gerichte an das BVerfG wenden können, wenn sie der Meinung sind, dass geltende Gesetze dem Grundgesetz widersprechen. Dabei ging es um die Frage, welchen familienrechtlichen Status in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zwischen zwei Frauen die Frau, die das Kind nicht gebiert, in Bezug auf ein in der Ehe geborenes Kind hat. Vater kann sie ja kaum werden. Das Gericht hat darüber zu entscheiden, ob die sogenannte „Co-Mutter“, wie ein Ehemann, sofort mit der Geburt des Kindes innerhalb der Ehe die rechtliche Elternstellung einnimmt oder ob sie das Kind erst adoptieren muss, um ein vollwertiger Elternteil zu werden. Beiden Fällen liegen lesbische Ehepaare zugrunde, in einem Fall war eine der Frauen durch eine Embryonenspende, in anderen Fall durch eine Samenspende Mutter geworden. In beiden Fällen war die Schwangerschaft ein gemeinsamer Entschluss beider Frauen. Neben den Begriffen „Co-Mutter“ und „Geburtsmutter“ wird auch der auch den Begriff „Wunscheltern“ verwendet. Damit sind nicht etwa Eltern gemeint, welche sich ein Kind wünschen, sondern Eltern, die das Kind weder gezeugt noch ausgetragen haben, aber seiner Entstehung durch ihren Wunsch, also die Zustimmung zu einer reproduktionsmedizinischen Maßnahme, verursacht haben. Zu beantworten ist also die Frage, ob sie von Anfang an Elternverantwortung mit allen Rechten und Pflichten tragen müssen und dürfen. Oder ob die Elternschaft notwendigerweise mit einer leiblichen Abstammung verbunden sein muss.
Das BVerfG wird sich Gedanken darüber machen müssen, dass auch Wunscheltern wie die Co-Mutter in den Schutzbereich des Art. 6 GG, der Familie und Elternrechte schützt, einzubeziehen sind, aber muss ihnen der Gesetzgeber dazu zwingend die reguläre Elternstellung einräumen? Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers könnte aber durch Artikel 3 GG, dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, eingeschränkt sein, weil eine Frau als Ehegatte gesetzlich nicht anders behandelt werden darf als ein Mann als Ehegatte. Zu bedenken ist auch, dass auch in verschiedengeschlechtlichen Ehen der Ehemann nicht notwendig der genetische Vater eines von der Ehefrau geborenen Kindes ist („Mama’s Baby, Papa’s maybe“). Trotzdem bekommt der Mann, der mit einer Frau verheiratet ist, automatisch alle Elternrechte, die Frau, die mit der gebärenden Frau verheiratet ist, aber nicht. Und Art. 3 schließt ja gerade ausdrücklich auch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes aus. Und was ist mit der Gleichbehandlung der Kinder aus solchen Verbindungen? Kinder aus einer verschiedengeschlechtlichen Ehe haben automatisch zwei Eltern, Kinder aus einer gleichgeschlechtlichen Ehe müssen erst mal nur mit einem Elternteil auskommen. Was ist, wenn die Mutter bei der Geburt stirbt? Das erste Kind hat dann ein Vater mit allen Rechten und Pflichten, das andere Kind hat nur eine Co-Mutter, die keinerlei Elternrechte hat. Und was wäre, wenn das lesbische Paar gar nicht verheiratet ist? Bei verschiedengeschlechtlichen Paaren kann der biologische Vater einfach die Vaterschaft anerkennen, um alle Elternrechte zu bekommen. Bei dem lesbischen Paar geht das nicht, die Co-Mutter hat keine Chance, rechtlicher Elternteil zu werden.
Wie auch immer das BVerfG entscheidet, klar ist, dass hier auf Seiten des Gesetzgebers Handlungsbedarf besteht!