Nicht selten übertragen Eltern einem ihrer Kinder eine selbst bewohnte Immobilie noch zu Lebzeiten. Würde das Familienheim regulär an einen Nachkommen vererbt werden, so hätten dessen Geschwister dem Begünstigten gegenüber einen Pflichtteilsanspruch. Nach einer Schenkung zu Lebzeiten haben die Miterben einen so genannten Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB. Danach kann ein Pflichtteilsberechtigter verlangen, dass bei der Berechnung seines Pflichtteils so getan wird, als gehöre der verschenkte Gegenstand noch zur Erbmasse. Die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Sind aber zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung ganz unberücksichtigt. Das Pflichtteilsrecht kann so also umgangen werden, wenn ein finanzieller Ausgleich an die Geschwister des mit der Immobilie beschenkten Kindes nicht möglich oder nicht gewollt ist.
In der Regel behalten sich die Eltern in solchen Fällen ein Wohnrecht oder Nießbrauchsrecht vor. Das ist jedoch problematisch, weil dann unter Umständen die oben genannte Frist nicht zu laufen beginnt, obwohl das Eigentum an der Immobilie bereits rechtswirksam an eines seiner Kinder übertragen wurde. Denn nach der bisherigen Rechtsprechung beginnt die Frist nicht zu laufen, wenn der Schenker seine rechtliche Position quasi nicht aufgibt und den „Genuss“ des verschenkten Gegenstandes nicht auch tatsächlich entbehren muss, sei es durch die Einräumung eines Nießbrauchs oder durch die Einräumung eines Wohnrechtes zu seinen Gunsten. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.
Einen solchen Fall hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 29.06.2016 – IV ZR 474/5) jüngst entschieden. Der Beklagte hatte von seinen Eltern ein Grundstück mit Wohnhaus im Jahre 1994 übertragen bekommen. Die Eltern behielten sich ein Wohnrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss sowie die Mitbenutzung des Gartens vor. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 2012 klagte der Bruder des Beschenkten seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch ein. Der Bundesgerichtshof führte aus, dass die Frist des §§ 2325 BGB zwar gehindert sein kann, wenn sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks ein Wohnrecht vorbehält. Im vorliegenden Fall war dies aber nicht gegeben. Maßgeblich sei, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Übergabe im Wesentlichen noch weiterhin nutzen kann. Im entschiedenen Fall bestand das Wohnrecht nur für einen Teil der übertragenen Immobilie, dem Erdgeschoss, so dass mit Vollzug der Schenkung der Schenker nicht mehr „Herr im Haus“ war, so dass die Frist zu laufen begann. Auch sei das Wohnrecht nicht, anders als ein Nießbrauchsrecht, auf Dritte übertragbar gewesen, was ebenso den Verlust der Eigentümerstellung begründet, da die Wohnung durch die Eltern etwa nicht mehr hätte vermietet werden können.
Bei der Übertragung einer Immobilie im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen sind also einige Punkte zu beachten, fachkundige Beratung ist unerlässlich.