Bereits im Juli 2020 hat der Bundesgerichtshof (29.07.20, XII ZB 106/20) eine richtungsweisende Entscheidung zur Geschäftsfähigkeit beim Ausstellen einer Vorsorgevollmacht getroffen.

In dem Fall stritten sich die Kinder eines an Demenz erkrankten Elternteils vor Gericht um die Wirksamkeit verschiedener Vorsorgevollmachten und die Rechtmäßigkeit der Einrichtung einer gerichtlichen Betreuung. Dazu muss man zunächst wissen, dass nach § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB das Gericht einen Betreuer nur dann bestellen darf, soweit dies erforderlich ist. Gibt es eine wirksame Vorsorgevollmacht, so ist diese Erforderlichkeit nicht gegeben, weil der Bevollmächtigte für den Betroffenen handeln kann. Im entschiedenen Fall hatte der Betroffene eine zeitlich schon länger zurückliegende Vollmacht für ein Kind ausgestellt, diese später widerrufen und dann eine weitere, notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht für ein anderes Kind ausgestellt. Ein weiteres Kind hatte dann eine Betreuerbestellung bei Gericht eingeleitet.

Es ging um die Frage, ob der Betroffene bei Ausstellung der Vollmacht noch geschäftsfähig war. Hierzu wurde vom Gericht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Die Sachverständige hat bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nach der Komplexität des jeweils vorzunehmenden Geschäfts differenziert. Dieser Betrachtungsweise hat der BGH eine Absage erteilt und ausgeführt, dass die Geschäftsunfähigkeit kein medizinischer Befund sei, sondern ein Rechtsbegriff. Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit sei nicht primär die Fähigkeiten des Verstandes des Betroffenen ausschlaggebend, sondern vielmehr die Freiheit des Willensentschlusses. Dafür komme es darauf an, ob die freie Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich sein. Oder ob von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden könne, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliege oder die Willensbildung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ausgelöst würde.

Der BGH stellte fest, dass das Gericht in solchen Fragen die Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung unter kritischer Würdigung eines Sachverständigengutachtens positiv festzustellen hat. Kann die Unwirksamkeit einer Vollmachtserteilung nicht positiv festgestellt werden, so bleibt es bei einer wirksamen Bevollmächtigung.

Eine in der Praxis sehr wichtige Frage, denn häufig streiten die Kinder eines betreuungsbedürftig gewordenen Elternteils, wenn nur ein Kind eine Vollmacht bekommen hat, darüber, ob diese Vollmacht noch zu Zeiten voller Geschäftsfähigkeit ausgestellt wurde und damit wirksam ist. Die Geschäftsfähigkeit bzw. Geschäftsunfähigkeit zum Zeitpunkt der manchmal Jahre zurückliegenden Vollmachtserteilung festzustellen ist oft nicht mehr möglich.