Aufgrund einer veränderten Altersstruktur in unserer Gesellschaft (die Menschen werden nicht nur älter als früher, sie haben auch mehr Vermögen) beobachtet die Polizei in den letzten Jahren einen massiven Anstieg von Delikten, denen ältere Menschen häufiger zum Opfer fallen, wie Diebstahl, Unterschlagung, Betrug und vor allem Untreue. Leider schützen die gesetzlichen Regelungen, sowohl die strafrechtlichen als auch die zivilrechtlichen, nur unzureichend.
Ein typischer Fall: Ein alter oder kranker Mensch mit stark eingeschränkter Alltagskompetenz, häufig durch beginnende Demenz, steht unter dem Einfluss einer dritten Person, die diesen Einfluss ausnutzt, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. Hierzu wird eine Vollmacht benutzt, sei es eine General- oder Vorsorgevollmacht, oder auch nur eine Kontovollmacht. Die durch die Vollmacht begünstigten Personen haben eine besondere persönliche Nähe zu dem Opfer. Das kann ein neuer Lebensgefährte oder eine neue Lebensgefährtin sein, aber auch der Nachbar, der Altenpfleger, die Putzfrau, aber natürlich auch ein Kind, welches sich Vorteile gegenüber den miterbenden Geschwistern verschafft. Täter in diesem Bereich sind, weit häufiger als in anderen Kriminalitätsbereichen, Frauen. Das liegt wohl daran, dass sowohl in der beruflichen als auch in der privaten Pflege überwiegend Frauen tätig sind.
Zunächst wird das Vertrauen des Betroffenen mit Gefälligkeiten und kleineren Hilfestellungen erlangt. Später werden Aufwandsentschädigungen für Gefälligkeiten gefordert oder vom Betroffenen freiwillig gewährt. Dem Helfer wird vom Opfer die eigene Bankkarte ausgehändigt oder eine Kontovollmacht erteilt. Und weil alles doch so gut läuft, wird irgendwann eine umfängliche Vorsorgevollmacht, manchmal sogar notariell, ausgefertigt. Mit dieser kann das Opfer dann vollständig ausgenommen werden. Ist es dann ausgenommen und verursacht nur noch Kosten und Aufwand, wird es entweder sich selbst überlassen oder in ein Heim gesteckt. Eine Horrorversion? Nein, das ist heute alltäglich!
Kriminalpolizeiliche Ermittlungen sind in diesem Zusammenhang schwierig. Neben Diebstahl, Unterschlagung und Betrug als typische Straftaten gegen alte Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz kommt bei Vollmachtsmissbrauch vor allem Untreue, § 266 StGB, in Betracht. Damit wird der Missbrauch einer eingeräumten Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, unter Strafe gestellt. Doch dieser Tatbestand ist nicht nur juristisch äußerst problematisch. Zunächst schämen sich ältere Menschen, deren Schwächen ausgenutzt wurden, dafür, Opfer geworden zu sein. Eine Strafanzeige erfolgt daher oft nicht. Darüber hinaus sind die Täter fast immer Angehörige, Freunde oder Nachbarn. Der Gesetzgeber fordert bei solchen Vermögensdelikten im sozialen Nahbereich einen sogenannten Strafantrag, das heißt, die Justiz darf nur einschreiten, wenn das Opfer dies ausdrücklich beantragt. Damit wird der private familiäre Bereich vor ungewollten staatlichen Eingriffen geschützt. Diese richtige Intention hat jedoch in den hier behandelten Fällen fatale Auswirkungen. Denn viele Opfer befinden sich in einer wie auch immer gearteten Abhängigkeit vom Täter und können oder wollen daher einen solchen Antrag nicht stellen. Man stelle sich mal vor, Eltern, die ihre Kinder missbrauchen, dürften nur bestraft werden, wenn die Kinder es beantragen – absurd, aber so ist die Situation bei älteren Menschen. Weiterhin endet die strafrechtliche Verfolgbarkeit solcher Antragsdelikte spätestens mit dem Tod des Opfers. Strafverfahren dauern aber oft lange und die hier behandelten Opfer befinden sich in aller Regel bereits im letzten Lebensabschnitt. Problematisch ist auch, dass es für den Strafantrag eine Frist von nur drei Monaten gibt, die in der Praxis ebenfalls erhebliche Probleme verursacht. Denn zumeist wird erstmal versucht, derartige Taten innerhalb der Familie zu klären. Dies alles erschwert eine strafrechtliche Verfolgung erheblich.
Aber auch zivilrechtlich ist die Rechtslage sehr problematisch. Eine Vorsorge- oder Generalvollmacht (was das Gleiche ist) kann formlos erteilt werden. Mit dieser kann der Bevollmächtigte dann gegebenenfalls vollständig über das Opfer entscheiden. Er kann bestimmen, wo sich der Vollmachtgeber aufhält, mit wem er Kontakt hat und welche Pflege er erhält. Natürlich kann dieser seine Vollmacht jederzeit widerrufen. Mit einem Nachlassen der geistigen Fähigkeiten wird dies jedoch zunehmend schwierig bis unmöglich. Häufig fürchtet das Opfer bei einer Rücknahme der Vollmacht Konsequenzen und Einschränkungen bei der Pflege oder Kontakten, oder ist aufgrund seiner dementiellen Erkrankung gar nicht mehr in der Lage, sachgerecht zu beurteilen, ob ein Missbrauch seitens des Bevollmächtigten vorliegt. Eine Hilfe wäre in solchen Fällen ein gerichtlich bestellter, neutraler Betreuer, der die Aufgaben des Bevollmächtigten übernimmt. Aber auch der ist oft schwierig zu bekommen, selbst wenn es Hinweise auf Missbrauch gibt. Denn eine gerichtliche Betreuung darf nicht eingerichtet werden, wenn der Betroffene bereits selbst eine Vorsorgevollmacht ausgestellt hat. Zwar ist eine Durchbrechung dieses Grundsatzes möglich, etwa wenn dem Gericht bekannt wird, dass die Vollmacht aus einer Zwangslage heraus ausgestellt worden ist oder der Missbrauch der Vollmacht offensichtlich ist. Nur wenn das Gericht versucht, dies durch Anhörung der Betroffenen festzustellen, sind diese häufig schon vom Täter derartig beeinflusst, manipuliert und auf ihre Abhängigkeit hingewiesen, dass sie die Einrichtung einer neutralen Betreuung durch das Gericht ablehnen oder sich den Täter als Bevollmächtigten bzw. Betreuer wünschen. Dem muss das Gericht dann folgen.
Ein weiteres Problem ist die Feststellung, ob es überhaupt eine wirksame Vollmacht gibt. Eine wirksame Bevollmächtigung setzt die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung voraus. Da die Erteilung der Vollmacht auch schon Jahre zurück liegen kann, ist die Beurteilung dieser Frage in der Praxis häufig schwierig bis unmöglich. Vor Gericht wird versucht, diese Frage durch medizinisch-psychiatrische Gutachten zu klären. Das kann aber überhaupt nur gelingen, wenn es medizinische Unterlagen über den Vollmachtgeber zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung gibt. Unwirksam kann die Vollmachtserteilung auch bei einer übermäßigen Beeinflussung des Vollmachtgebers sein. Es stellt sich die Frage, ab wann von einer übermäßigen Beeinflussung und nicht mehr von einer freien Willensbildung auszugehen ist und wie man das erkennt. Vor Gericht ist auch diese Frage durch ein medizinisch-psychiatrisches Gutachten zu klären. Voraussetzung für eine übermäßige Beeinflussung ist zunächst einmal eine krankhafte Geistesstörung, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung, etwa durch eine entsprechende Erkrankung wie Demenz. Darüber hinaus muss die Einflussnahme nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 05.12.1995 den Willen der verfügenden Person „übermäßig beherrschen“. Siehe hierzu auch den Text „Der freie Wille.“ Kinder werden durch das BGB besonders geschützt. Diese gelten als geschäftsunfähig, d.h. von ihnen geschlossene Verträge sind entweder unwirksam oder müssen von den Erziehungsberechtigten genehmigt werden. Einen vergleichbaren Schutz für alte Menschen, die in ihrer Geschäftsfähigkeit eingeschränkt sind, oder deren Geschäftsfähigkeit nicht mehr gegeben ist, gibt es leider nicht.
Sehr problematisch ist auch das fehlende Formbedürfnis. In den letzten Jahren wird von der Politik zurecht eine frühzeitige Vollmachtserteilung für jedermann propagiert, ein Hinweis auf den möglichen Missbrauch jedoch fehlt. Die Ausstellung der Vollmacht unterliegt keinen Vorgaben oder Kontrollen. Sie kann also einfach auf einem Zettel ausgestellt werden. Private Vollmachten müssen zudem nirgends angezeigt werden. Eine solche Vollmacht kann auch bei einem Notar errichtet werden. Der Notar kann dann testieren oder Geschäftsfähigkeit annehmen, ohne dass er hierzu irgendeine medizinische Qualifikation hat. Eine solche notarielle Vollmacht hat dann im Rechtsverkehr trotzdem eine hohe Legitimation. Sie kann allerdings wiederum durch eine neuere, auf einem einfachen Zettel ausgeschriebene Vollmacht wieder ausgehebelt werden. Hier würden gesetzliche Formvorschriften und eine zentrale Erfassung helfen. Zudem sollte die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht an eine ärztlich attestierte Geschäftsfähigkeit geknüpft werden. Auch eine Buchführungspflicht für Bevollmächtigte würde helfen.
Auch wenn die Rechtslage unzureichend schützt, gibt es für den um Hilfe ersuchten Rechtsanwalt durchaus Handlungsmöglichkeiten. Bei Untreue, die eine wirksame Vollmachtserteilung voraussetzt, sind zwei Ansprüche wichtig, der Anspruch auf Auskunft gegen den Bevollmächtigten über die von ihm getätigten Verfügungen und der Anspruch auf Rückzahlung der vom Bevollmächtigten erlangten Beträge. Gemäß § 1922 BGB geht der Anspruch, diese Rechenschaft zu verlangen, auf die Erben über. Die Erben sind nach dem Tod des Opfers der Untreue in der Regel die Geschädigten, die einen Anwalt beauftragen. Gemäß § 2039 BGB kann jeder Erbe diese Auskunft an alle Miterben verlangen. Die Verjährung des Auskunftsanspruches tritt nicht vor Beendigung des durch die Vollmacht geschaffenen Auftragsverhältnisses ein, beginnt also in der Regel erst mit dem Tod des Vollmachtgebers. Entscheidend dafür, ob die Erben einen Auskunftsanspruch gegen den Bevollmächtigten haben, ist, ob zwischen dem Bevollmächtigten und dem Vollmachtgeber ein sogenanntes Auftragsverhältnis oder ein Gefälligkeitsverhältnis bestanden hat. Denn nur bei einem Auftragsverhältnis besteht die Rechenschaftspflicht. Unterscheidungskriterium ist der so genannte Rechtsbindungswille (die Absicht, ein rechtliches Geschäft einzugehen). Dieser beurteilt sich nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit und Interessenlage der Parteien. In der Regel geht die Rechtsprechung von einem Auftragsverhältnis aus, in besonderen Fällen, etwa bei sich gegenseitig bevollmächtigenden Ehegatten, jedoch von einem Gefälligkeitsverhältnis ohne Rechenschaftspflicht.
Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag, den Rechtsanwalt Lahrmann am 11.10.2017 beim Arbeitskreis Erbrecht im Berliner Anwaltsverein zusammen mit der Kriminalkommissarin Frau Annette Mau vom LKA Berlin, Abteilung Untreue, gehalten hat.